Delta3.jpg (68718 Byte)

Kriegspolitik                                            

 

 

 

Home
Nach oben
Zum Web-Inhalt
Veröffentlichungen
Disclaimer

Eine günstige Gelegenheit

„Ich bin und bleibe ein Italiener," hat Enzo Biagi eine gute Woche nach den Attentaten in den USA angemerkt. Enzo Biagi ist nach dem Tod Indro Montanellis vor einigen Wochen die letzte „große Feder": Auch dieser Veteran des italienischen Journalismus hat sich in den letzten Jahren durch wachsende Überparteilichkeit – nicht Unparteilichkeit - ausgezeichnet.

Nun ist er einer der ersten, der mahnt, trotz allem an die „eigenen Geschichten" zu denken: „Die Ereignisse .. dürfen kein Alibi sein, (…) Entscheidungen aufzuschieben, die unsere Politik durchsichtiger machen können. Da sind zum Beispiel die Interessenkonflikte, die seit immer darauf warten, in Ordnung gebracht zu werden, und die nicht im Mindesten von den Initiativen der Taleban abhängen. Die Bilanzfälschung hat nichts zu tun mit der Verpflichtung, die Präsident Bush gegenüber seinem Volk eingegangen ist. …"

Natürlich ist Einiges aufgeschoben, was eigentlich jetzt auf der politischen Tagesordnung stehen sollte. Anderes, wie das Referendum über die Einführung des Föderalismus-Gesetzes am 7.Oktober, ist praktisch kein öffentliches Thema mehr in diesen Tagen. Die centrosinistra, die das Gesetz noch vor den Wahlen auf den Weg gebracht hatte, kann froh sein, dass es für ein „bestätigendes" Referendum (im Gegensatz zu jenen, mit denen ein Gesetz geändert oder abgeschafft werden soll) kein Quorum gibt: Das Ergebnis gilt, egal wie wenige WahlbürgerInnen zur Abstimmung gehen.

Zur Alltagsroutine sind die PolitikerInnen vermutlich noch nirgendwo auf der Welt zurückgekehrt. Hierzulande allerdings instrumentalisiert die Regierung die Anschläge von Tag zu Tag mehr. Es passt auch gerade bestens zum Nachgang der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Genua und zur Vorbereitung der NATO- und FAO-Gipfel in Pozzuoli und in Rimini (der neue FAO-Tagungsort).

Im Mittelpunkt steht die Aufrüstung der Sicherheitsorgane. Als erstes werden bis Ende des Jahres die Geheimdienste ausgebaut und zugleich mit größeren Handlungsfreiheiten ausgestattet. Der Schwerpunkt der Aufgaben beider Geheimdienste wird in Richtung internationaler fundamentalistischer Terrorismus umdefiniert. Zudem sollen sie künftig eng mit den Antiterrorrismus-Einheiten von Carabinieri und Polizei zusammenarbeiten. Die Neubesetzung der Leitungsposten der beiden Geheimdienste ist allerdings eine Konsequenz aus Genua.

Der Sisde, der zivile Geheimdienst, hatte in seinem letzten Dossier festgehalten, dass sich in den letzten Jahren die Zahl der kulturellen und religiösen Zentren der Islamisten verdreifacht hätten, und sie immer besser in den sozialen und ökonomischen Strukturen des Landes verwurzelt seien. Es gäbe unzählige, horizontal organisierte, terroristische Zellen im Land…

Mindestens 1000 Leute sollen bis Ende des Jahres ohne öffentliche Ausschreibungen eingestellt werden, die den neuen Aufgaben gerecht werden: bislang gäbe es allenfalls fünf Leute, die arabisch srpechen. Beim Sismi, dem militärischen Geheimdienst; sollen vor allem die Auslandsposten aufgestockt werden.- insbesondere verdeckte Mitarbeiter. Die Kontrolle soll künftig entweder nur direkt über den Ministerpräsidenten stattfinden oder mittels einer Sonder-Staatsanwaltschaft.

Dem entgegen hat DS-Senator Massimo Brutti einen Gesetzentwurf verfaßt, der die Kontrolle des Parlaments über die Geheimdienste verbessern soll. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in beiden Kammern ist das Schicksal seines Vorschlags absehbar.

Die Vorbereitungen für die beiden Gipfel wurden Testgelände für die neue Sicherheitspolitik. Für den NATO-Gipfel hatte die Regierung dazu sogar eine Machtprobe mit der Stadt angezettelt: Trotzdem Neapel noch gezeichnet ist von den Überschwemmungen der letzten Tage, sollten die Gipfel-Teilnehmer nicht wie vorgesehen in der Akademie von Pozzuoli übernachten, sondern in den schicken Hotels an Neapels Strandpromenade. Zu ihrem Schutz sollte dann eine wichtige Hauptstraße gesperrt werden, was den eh beeinträchtigten Verkehr weiter erschwert hätte. Die Bürgermeisterin protestierte vergeblich.

Die Gelegenheit ist auch günstig, sich gleich noch mal den Haushalt vorzunehmen. Seit Monaten müht sich die neue Regierung, entweder die finanziellen Gegebenheiten mit den Wahlversprechen in Einklang zu bringen, oder einen „objektiven" Grund zu finden, diese nicht einzuhalten. Silvio Belusconi: „Es ist klar, daß der nächste ein Sonderhaushalt sein wird. Es ist keine spezielle Steuer für den Staat vorgesehen, aber eine andere Verteilung der öffentlichen Ausgaben, mit Erhöhung der Ressourcen für die bewaffneten Kräfte und die Sicherheitsapparate." Finanzminister Tremonti hatte eigentlich vorgesehen, den Verteidigungshaushalt um 10% zu kürzen. Nun ist – zu Lasten anderer – davon nicht mehr die Rede. Wohlfahrtsminister Maroni – ausgerechnet dieser ! - hat alle Ministerien aufgerufen, im Namen der neuen Prioritäten Opfer zu bringen. Umweltminister Matteoli allerdings scheint sich auf eine Kraftprobe über seinen Etat einlassen zu wollen.

Die Opposition bietet ein breites Spektrum möglicher Reaktionen: Ex-Industrieminister Letta: „Von unserer Seite gibt es die Haltung großer Bereitschaft (…) Allerdings erwarten wir, dass die Regierung nicht die Linie der „Verschlagenheit" (furbizia) wählt." DS-Senator Angius hofft, „dass die Ankündigungen Berlusconis nicht auf soziale Einschnitte abzielen." Armando Cossutta (Comunisti italiani) ist gegen einen „militarisierten Haushalt."

© Annemarie Nikolaus, September 2001

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07