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Gespenstische Eiertänze

 Auch Otto Schilys Appell an die Standhaftigkeit hat dazu beigetragen: Inzwischen wird es als eine Frage der Ehre diskutiert, ob die für den Herbst vorgesehenen Gipfeltreffen der NATO und der FAO wie geplant in Neapel und Rom stattfinden oder nicht. Gleichzeitig sind alle höchst besorgt.

Für das Attentat auf das Gerichtsgebäude in Venedig ist noch kein Täter gefunden worden. Die „Bekenntnisse" angeblicher antiimperialistischer Gruppen halten die Ermittler nicht für glaubwürdig. Dennoch wurden die Urheber „identifiziert":

Für die Sprecher der Anti-Globalisierungsbewegung war es eine Bombe gegen die „Bewegung", um sie zum Schweigen zu bringen und Repressionen zu rechtfertigen – Rückkehr zur „Strategie der Spannung" der bleiernen Jahre. Das Venezia Social Forum sagte die gegen Silvio Berlusconi geplante Demonstration ab, um nicht in die Falle zu tappen. Mit der von der centrosinistra geführten Stadtregierung von Venedig traf man sich zum Dialog und zu gemeinsamen Erklärungen für Gewaltfreiheit.

Die Explosion in Venedig ließ auch Innenminister Claudio Scajola die Rückkehr der bleiernen Jahre befürchten. Für eine neue Phase des bewaffneten Kampfes hätten sich in den letzten Monaten die Indizien gemehrt: die Bombe, die im Dezember im Mailänder Dom gefunden wurde, der Anschlag auf das Institut für Internationale Angelegenheiten in Rom, die vier Briefbomben im Juli; die Patronen per Post, die er , aber auch Führer der Opposition erhalten haben. Berlusconi beschwor die Einheit der Demokraten gegen die Eskalation der Gewalt. Sekundiert von Staatspräsident Ciampi, der zur Verteidigung der Institutionen gegen jede Form von Gewalt aufruft, erklärten sich Francesco Rutelli und Walter Veltroni prinzipiell zur Zusammenarbeit mit der Regierung bereit.

Im Zentrum der Diskussionen stehen dabei die bevorstehenden Gipfeltreffen in Neapel und Rom. Schon vor dem G 8-Treffen in Genua war mehr über das Risiko von Gewaltakten als über die Konzepte der Gipfel-Gegner diskutiert worden. Nun werden praktisch ausschließlich Fragen der öffentlichen Sicherheit und des Schutzes für die Städte erörtert. Polizei und Carabinieri wollen nicht alle Last auf sich abgewälzt sehen. Gewerkschaftsvertreter fordern die Bekämpfung extremistischer Randgruppen. „Ex-Terroristen" sehen von beiden Seiten eine neue Spirale der Gewalt drohen, wenn die Radikalisierung der Auseinandersetzungen nicht beendet würde…

Der erste Reflex aus Kreisen der Regierung war, vorsichtshalber die Treffen ganz zu verlegen. Mindestens für den FAO-Gipfel sei noch Zeit genug, dies zu organisieren. Berlusconi fiel dazu ein, für dieses Thema sei doch ein afrikanisches Land viel besser geeignet; schließlich seien diese von Hungersnöten und Dürrekatastrophen betroffen. 

Einer der ersten, der perplex reagiert hat, war Romano Prodi, für den sich „Italien" lächerlich machen würde, wenn die – von der vorherigen Regierung - eingegangenen Verpflichtungen nicht eingehalten würden. Vehement gegen eine Verlegung sprach sich Roms neuer Bürgermeister Walter Veltroni (DS) aus. Von den internationalen Stimmen, die warnten, ein „Zurückweichen vor den Gewalttätigen" wäre ein fatales Anzeichen eines schwachen Staates, ist hierzulande besonders ausführlich der deutsche Innenminister zitiert worden. Die Regierung allerdings diskutiert mit einigen afrikanischen Ländern nicht nur über den Gipfel, sondern prüft auch die Möglichkeiten einer Verlagerung des FAO-Sitzes selbst.

Die Oppositionsparteien wissen auch nicht so recht, wofür sie sein sollen: Zum FAO-Gipfel ist dem früheren Landwirtschaftsminister der Verdi, Pecorario Scanio, eingefallen, dass die letzte italienische Regierung – also seine - ja fünf Jahre an der inhaltlichen Vorbereitung der Welternährungskonferenz mitgearbeitet hat. Sie müsse nun wie geplant stattfinden, um zu den vorgesehenen Ergebnisse zu gelangen. Andere dagegen, zum Beispiel aus den Reihen der DS, wollen gemeinsam mit den Globalisierungsgegnern gegen das FAO-Treffen demonstrieren.

Neapels früherer Bürgermeister Antonio Bassolini sähe kein Problem für das Ansehen Italiens, wenn beide Treffen abgesagt würden. Die jetzige Bürgermeisterin Rosa Russo Jervolini war eine Zeit lang Innenministerin der centrosinistra-Regierung, ist also mit dem Thema „öffentliche Sicherheit" bestens vertraut und sieht ihre Stadt in großer Gefahr. Sie hat sich aber vehement dagegen ausgesprochen; Neapel zu verbarrikadieren und wollte besser Gespräche mit Vertretern der Bewegung führen. Diese Gespräche sind im Augenblick „vertagt"; gleichzeitig wird nun vorgeschlagen, den NATO-Gipfel außerhalb des Stadtzentrums abzuhalten, etwa am NATO-Sitz Bagnoli. Auch der Neapolitaner Alfonso Pecorario Scanio wäre mit einer Verlegung an einen Ort außerhalb Neapels schon zufrieden gestellt.

Zum Ärger des Bürgermeisters des nahegelegenen Pozzuoli hat der Innenminister nun die Luftfahrtakademie in dessen Stadt im Gespräch gebracht. Die zweite Variante, den NATO-Gipfel „ein bisschen zu verlegen" ist, die heikelsten Themen nicht in Neapel, sondern in Vicenza diskutieren zu lassen.

Wie lang die Schatten der Vergangenheit in Italien immer noch sind, hat sich dieser Tage auch an anderer Stelle gezeigt: Anfang August hatten die staatlichen Eisenbahnen jene Bahnhofsuhr in Bologna wieder in Gang setzen lassen, die bei dem Blutbad von 1980 stehen geblieben war. Nach dem Protest von Bürgermeister Guazzaloca und der DS haben sie sie nun wieder angehalten.

© Annemarie Nikolaus

 

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07