Delta3.jpg (68718 Byte)

Die "bleierne" Zeit                                            

 

 

 

Home
Nach oben
Zum Web-Inhalt
Veröffentlichungen
Disclaimer

 

Der Terror und die Justiz

Alte und neue Untaten: Und eine Kontinuität, in der Gewalt von „Rechts" wie von „Links" mit dem Symbol der Brigate rosse verknüpft ist. Die unzähligen Verfahren gegen den Senator Giulio Andreotti handeln von Verbrechen, die fast ein Vierteljahrhundert zurückliegen. Um Anschläge der letzten Jahre wird es dagegen im kommenden Frühjahr im Prozess gegen die „neuen" Brigate rosse (Br) gehen.

Die Polizei glaubt, die Attentate auf die Regierungsberater Marco Biagi im Frühjahr 2002 und Massimo D’Antona im Jahre 1999 aufgeklärt zu haben. Die 17 Angeklagten kommen aus Kreisen anarchistisch-kommunistischer Gruppen alten Typs und sollen im Laufe ihrer Entwicklung zum bewaffneten Kampf gefunden und damit eine Nachfolgeorganisation der Br geschaffen haben. Ab Februar wird ihnen der Prozess gemacht. Die Anklage stützt sich auf die üblichen papiernen Beweise sowie Datenfunde in Computern. Viele Indizien und „natürlich" Aussagen von KronzeugInnen.

Mit KronzeugInnen allerdings hat die italienische Justiz oftmals keine glückliche Hand. Besonders bemerkenswert schon jetzt, dass derjenige, der die beiden Morde ausgeführt haben soll, vor eineinhalb Jahren bei einer Schießerei von der Polizei getötet wurde. Unwillkürlich erinnert man sich an die Wendungen, die Ermittlungen und Verfahren zu den Attentaten der „bleiernen" Siebziger Jahre genommen hatten. Nicht alle sind aufgeklärt; manch eines, das ursprünglich den Br angelastet wurde, ist erwiesenermaßen von rechtsgerichteten Attentätern verübt worden.

Auch der Name des Senators Giulio Andreotti ist auf Umwegen bis heute mit den Brigate rosse verbunden – über seine nicht vollständig geklärte Rolle bei der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Politikers Aldo Moro sowie dem Mord an dem Journalisten Mino Pecorelli.

Die Verfahren gegen Andreotti „erledigen" sich eines aber nach dem anderen – und verdunkeln damit vielleicht für immer, was nach Ansicht der Ermittler erhellt schien. „Die wahre Geschichte Italiens" hatte der Staatsanwalt von Palermo seine Anklageschrift gegen Andreotti betitelt. Aber sein Gerüst baute in erster Linie auf die Aussagen der Kronzeugen und deren Glaubwürdigkeit hielt vor Gericht nicht stand. Mitte Oktober hat nun mangels Beweisen das römische Kassationsgericht den Freispruch Andreottis vom Vorwurf der Beteiligung an einer mafiosen kriminellen Vereinigung bestätigt.

Noch offen ist der endgültige Ausgang des Mordprozesses um den Journalisten Mino Pecorelli, doch die Urteilsbegründung der zweiten Instanz in Perugia steht auf ähnlich wankendem Boden wie die Anklage in Palermo: Auch diese beruht weitgehend auf Indizien und Kronzeugenaussagen. Die Richter in Perugia mussten zwar anerkennen, Andreotti habe nicht den direkten Auftrag erteilt, Pecorelli zu töten, sind aber der Auffassung, dass er mindestens in Form des schweigenden Einverständnisses an dem Verbrechen teilgenommen habe: Es könne nicht sein, dass er den Mord nicht gewollt habe, denn die Mörder selber und auch die Mafia hatten kein eigenes Interesse daran.

Pecorelli – ein bestechlicher Enthüllungsjournalist - hatte angeblich kurz vor seinem Tod Informationen verkaufen wollen über Zusammenhänge zwischen Andreottis Machenschaften und dem Tod Moros. Das Gericht scheint diese Lesart für sein Urteil übernommen zu haben. Es sieht seine These dadurch bewiesen, dass Andreotti „eine extrem vorsichtige Person (sei), der immer versucht hat, sich nicht direkt zu exponieren; so sehr, dass, in viel weniger schwerwiegenden Fällen als einem Mord, er auf Mittelsmänner zurückgegriffen hat, um seine Wünsche erkennen zu geben."

Es ist klar, dass solche Urteile die Justiz politisch angreifbar machen. Nach dem Spruch des römischen Kassationsgerichts ergriff Marcello Pera, der Präsident der zweiten Abgeordnetenkammer, sogleich die Gelegenheit, „gewisse" Staatsanwälte als Handlanger jener zu bezeichnen, die den historischen Parteien wie DC und PSI den Garaus gemacht hätten.

Ins Zentrum der Kritik der centrodestra geriet dabei Luciano Violante (DS), der in den Neunziger Jahren Vorsitzender der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission war: Mit dem Kommissionsbericht – der mit großer Mehrheit verabschiedet worden war - habe er damals Andreotti zum Sündenbock machen wollen. Der Forza Italia-Abgeordnete Carlo Taormina hat den Grund für die Polemiken preisgegeben: dass Violante vor einigen Wochen Berlusconi Verbindungen zur Mafia zugeschrieben hatte.

(c) Annemarie Nikolaus, November 2004

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07