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Streiks                                            

 

 

 

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Schmalspur-Föderalismus

Grad wie in alten Zeiten? Ein Streik nach dem anderen, dort, wo es die BürgerInnen besonders trifft: im Verkehrsgewerbe. Flüge, Eisenbahn, öffentlicher Nahverkehr. Eine per Dekret verordnete „Pause" gab es lediglich während des Weihnachts-Reiseverkehrs. Ein Ende ist noch nicht abzusehen.

Die ersten Streiks ab Mitte November waren bloß die „übliche" Demonstration der Stärke, wie es sich zur Begleitung von Verhandlungen schickt. Sie verliefen auch fein ordentlich, wie es die Führungen der konföderierten Gewerkschaften vorgesehen hatten.

Seit 1990 ist das Streikrecht nämlich in der Weise gesetzlich geregelt, dass die Gesellschaft darüber nicht mehr wie einst lahmgelegt werden kann. Und vor allem, dass das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Mobilität nicht ernsthaft beeinträchtigt werde: Bei den Eisenbahnen beispielsweise gibt es „garantierte Züge", sowohl für die Pendler wie im internationalen Fernverkehr. Im Nahverkehr gelten „geschützte Tageszeiten", in denen nicht gestreikt werden darf: nämlich im Berufsverkehr morgens und abends. So tun die Streiks nicht wirklich weh; – aber die Beschäftigten mögen sich immer weniger an diese Spielregeln halten.

Im Zentrum der Streikwelle steht der öffentliche Nahverkehr mit seinen 120.000 Beschäftigten. Sie fordern die Erneuerung des schon Ende 2001 abgelaufenen nationalen Zweijahres-Vertrags, „Nachzahlung" der ausgefallenen Lohnerhöhungen sowie eine über der Inflationsrate liegende Gehaltsaufbesserung. In Mailand verdienten die Fahrer städtischen Verkehrsbetriebe im vergangenen Jahr im Mittel zwischen 20.900 Euro (Bus) und 23.400 Euro (U-Bahn). Der alte nationale Basis-Vertrag hatte knapp 2.000 Euro weniger vorgesehen.

Kurz vor Weihnachten einigten sich CGIL, Cisl, Uil, Regierung und Verkehrsunternehmen auf eine monatliche Gehaltserhöhung von 81 Euro und eine Nachzahlung von 970 Euro. Aber die „Basis" will mehr.

Anfang Dezember hatte es in Mailand den ersten „wilden" Streik gegeben; Mitte Januar wurde erneut tagelang ohne Rücksicht auf die „geschützten Zeiten" gestreikt; und nicht nur Mitglieder der autonomen Gewerkschaften (COBAS) haben sich daran beteiligt. Die Fahrer anderer Städte im weiteren Umland folgten zumindest Halbtageweise dem Mailänder Beispiel. In Mailand kam nach drei Tagen eine lokale Vereinbarung zustande, die bis ins kommende Jahr hineinreicht und erheblich über den nationalen Forderungen liegt.

Das Ergebnis spaltet die Städte: Bürgermeister Albertini erklärte vorsichtshalber gleich, dass Mailand es sich leisten kann, über den nationalen Vertrag hinauszugehen, weil die Bilanz der lokalen Verkehrsgesellschaft im Plus ist, während es schwierig sein dürfte, dies Ergebnis in beispielsweise Rom zu übernehmen, dessen Verkehrsgesellschaft Schulden von 96 Millionen Euro hat.

Es spaltet aber auch die Gewerkschaften: Die großen konföderierten Vereinigungen (CGIL, Uil, Cisl) haben den Abschluss begrüßt. CGIL-Generalsekretär Guglielmo Epifani – der Nachfolger von Sergio Cofferati - sieht darin einen Anfang, um mit der Regierung in Verhandlungen über eine Reform des lokalen öffentlichen Verkehrs einzutreten: Allen gilt der Sektor als entwicklungsbedürftig.

Dagegen die sogenannten autonomen Gewerkschaften wie die COBAS (Confederazione dei comitati di base) sind aus Prinzip gegen lokale Vereinbarungen und halten am System der einheitlichen Bezahlung fest. Der Abschluss im Dezember scheint ihnen Recht zu geben, denn die Regierung hatte sich bereit erklärt, für die Kosten aufzukommen und dafür die Akzise aufs Benzin zu erhöhen.

Aber mit der ersten Etappe der Föderalismus-Reform „funktioniert" das ganze jetzt so: Die städtischen Gesellschaften haben in der Regel das Geld nicht, die Beschäftigen zu bezahlen, denn sie erwirtschaften im Schnitt kaum mehr als ein Drittel ihres Etats. - Die Mailänder sind eine der wenigen mit einer positiven Bilanz. - Das Geld kommt von der Regionalverwaltung, die es aus einem Fonds nimmt, an dem sie mit einem minimalen eigenen Anteil beteiligt ist; im wesentlichen wird dieser bisher aus staatlichen Transferleistungen gedeckt. Der Transportminister jedoch vertritt die Auffassung, wegen der regionalen Zuständigkeit seien diese jetzt auch ökonomisch verantwortlich. Die Regionen antworten, da sie keine ausreichenden steuerlichen Kompetenzen hätten, erwarteten sie das Geld aus Rom.

So wurschteln sich vorläufig alle durch; aber es ist absehbar, dass auch im öffentlichen Sektor, wie schon im privaten, lokale Bedingungen immer entscheidender werden.

 

© Annemarie Nikolaus, Februar 2004

 

    

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07