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Mary Read                                            

 

 

 

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Die Freibeuterin

Am Grab ihres Mannes beschloss Mary Read, Europa für immer zu verlassen. Seit dem Frieden von Utrecht kamen immer seltener flandrische Offiziere in die Stadt und in ihrem Wirtshaus unterhalb der Festung wurde das Geld knapp.

 

Sie holte die Kleidung hervor, die sie am Tag ihrer Hochzeit beiseite gelegt hatte: Als „Mann" würde es leicht fallen, unabhängig zu bleiben und dennoch ein ehrbares Auskommen zu finden. Mit einer Brennschere zog sie die Locken aus ihrem blonden Haar; dann kürzte sie es auf Schulterlänge und band es mit einem Samtband im Nacken zusammen. Den wenigen Schmuck, den sie besaß, nähte sie in die Säume von Weste und Jacke.

„Gut siehst du aus; genau wie damals – Mark", sagte die schönste Frau von Breda zu ihrem Spiegelbild. Die  weichen Züge ihres Gesichts ließen den Burschen, der ihr da entgegenschaute, einige Jahre jünger erscheinen als sie es war. Mary nickte ihm zufrieden zu.

 

Zwei Tage später stand sie im Morgennebel am Hafen von Antwerpen. Lediglich zwei große Fleuten ankerten dort sowie eine schlanke Brigantine. Zu dieser Jahreszeit würde es nicht einfach sein, ein Schiff zu finden, das sie in die Neue Welt brachte.

Sie betrat Jans Schänke und sah sich um.

Der Wirt eilte beflissen herbei. „Womit kann ich dienen, Mijnher?"

„Weißt du ein Schiff, das nach Westindien fährt?"

„Vielleicht, Mijnher. Dort sitzt Kapitän Walsma. Ihm gehört die „Seute Deern". Ich habe gehört, sie soll demnächst auslaufen."

 

Mary wandte sich dem Kapitän zu. „Ich suche eine Passage nach Amerika. Der Wirt sagt …"

„Du bist wohl von zu Hause ausgebüxt, mein Junge?" Walsma lachte schallend. „Was willst du denn in Amerika?"

Mary reckte sich. „Der Krieg ist zu Ende. Da gibt es für einen wie mich hier nichts mehr zu tun."

„Du warst Soldat, mein Junge? Tatsächlich? Kannst du mir einen Bürgen nennen?"

Sie nickte und nannte ihm zwei Offiziere ihres einstigen Regiments; die beiden würden das Geheimnis der Verwandlung von Mark zu Mary nicht verraten.

„Flandrische Kavallerie!" Walsma pfiff anerkennend. „Wenn das so ist. Einen guten Soldaten können wir immer gebrauchen. Aber du musst auch auf dem Schiff mit anpacken. - Wir laufen mit der Abendflut aus."

Der Kapitän schien überhört zu haben, dass sie nach einer Passage gefragt hatte. Oder er traute einem ehemaligen Soldaten nicht zu, die Überfahrt bezahlen zu können. Mary hielt es aber für klüger, nicht darauf zurückzukommen; sie wollte keine weiteren Fragen.

 

Am Nachmittag beobachtete sie erstaunt, dass die Fleute große Mengen an Lebensmitteln lud, aber nur ein Dutzend Ballen Kleiderstoffe und ein paar schwere Truhen.

„Warum haben wir keine Fracht?", fragte sie einen Schiffsjungen, der neben ihr an der Reling stand.

„Die kriegen wir erst später", war die mürrische Antwort.

Mary ließ sich nicht abschrecken. „Womit handelt Walsma eigentlich?"

„Schwarzes Gold!"

Sie ballte die Fäuste; mit Sklavenhandel hatte sie nicht gerechnet. Aber nun war sie hier …

„Schon Heimweh?"

Mary fuhr herum. Hinter ihr stand Cees, der Schiffskoch, und lächelte sie freundlich an.

Da schüttelte sie den Kopf und sagte offen. „Nein, hier hält mich nichts. All das, was mir einst lieb war, gibt es nicht mehr."

Der Koch nickte verständnisvoll. „Der Frieden hat so vielen keinen Segen gebracht hat. Und für unsereinen ist es doch gleich. Spanier oder die Österreicher; Pfaffenknechte sind sie allemal." Er berührte ihre Finger. „Du hast die feinen Hände eines Fechtmeisters; du solltest sie nicht mit der harten Arbeit an den Schiffstauen ruinieren. Komm, hilf mir in der Küche."

Wachsam musterte Mary sein Gesicht. Was wollte er von ihr? - Doch sie war froh über sein Angebot. Kämpfen hatte sie gelernt, besser als mancher Mann. Aber die harte Arbeit der Seeleute wäre ihr schwer gefallen.

Cees hatte ihren Blick wohl missverstanden. Er grinste breit. „Doch, doch. Der Kapitän wird nichts dagegen haben. Einen neuen Gehilfen brauche ich sowieso. Der alte war ein Tolpatsch und ist davongelaufen, als Walsma ihm eine übergezogen hat."

 

In den ersten Tagen geschah es mehr als einmal, dass sie Cees mit ihren Küchenfertigkeiten augenscheinlich in Erstaunen versetzte. Er sagte nichts dazu; dennoch schalt sie sich, zu unbekümmert gewesen zu sein und wurde vorsichtiger.

Gegenüber der Festung von Gorée gingen sie nach einer Woche vor Anker. Aneinandergekettet, wie Vieh, wurden die Sklaven in den Frachtraum getrieben: vor allem Frauen und Kinder, nur wenige Männer. So stand wenigstens keine Schiffsrevolte zu befürchten; es wäre Mary furchtbar geworden, ihre Waffe gegen diese Gestalten zu richten. Mit Ingrimm betrachtete sie die müden, resignierten Gesichter. ‚Schwarzes Gold.’ - So etwas dürfte es nicht geben.

 

Danach nahmen sie Kurs auf Westindien. Mary hatte, gemeinsam mit dem Koch, die Sklaven mit Brot und Wasser zu versorgen. Dreck und Gestank: Die Zustände unter Deck wurden von Tag zu Tag unerträglicher und in ihr wuchs der Zorn.

Drei Tagesreisen vor Jamaika wurde Mary von einem Schrei geweckt: „Piraten!"

Sie griff nach ihrem Degen und stürzte an Deck.

Das Piratenschiff feuerte eine Breitseite, traf das Lateinersegel am Achtermast und der brach. Damit war an Flucht nicht mehr zu denken. Walsma ließ die Kanone laden, aber sie reichte nicht weit genug; der Schuss blieb wirkungslos.

Die Seeräuber dagegen trafen gut; mit ihrer nächsten Attacke sprengten sie die Kanone der „Seute Deern" und zerfetzten das Marssegel am Fockmast. Der Kapitän hisste die weiße Flagge. Einige der Matrosen murrten, aber der Koch nickte verständnisvoll. „Wenigstens rettet er das Schiff", meinte er zu Mary.

 

Walsma schäumte. „Verbrecher! Verfluchte Piraten! Diebe!" Mit zornrotem Gesicht verfolgte er, wie die Piraten die „Seute Deern" durchsuchten und alles auf Deck stapelten, was nicht niet- und nagelfest war.

„Ihr irrt Euch", erwiderte der andere Kapitän ungerührt. „Wir sind Freibeuter und stehen im Dienst König Georgs von England. Euer Schiff ist nun rechtmäßig unser. La Bouche; zu Euren Diensten." Er zog seinen Dreispitz und wies mit überaus eleganter Verbeugung hinüber zu seinem Schiff. „Ich erlaube mir, Euch meine Gastfreundschaft anzubieten. Bitte sehr."

„So hat ihm die Kapitulation nichts genutzt", sagte Mary leise zu Cees.

„Holland war Englands Verbündeter im Krieg gegen die Spanier", schrie Walsma. „Der Angriff auf uns ist durch Euren Kaperbrief nicht gedeckt."

„Nun je, so bekommt Ihr Euer Schiff zurück,  sobald wir in Tortuga sind." La Bouche zuckte die Schultern. „Aber was habt Ihr auch gleich zurückgeschossen. Ihr werdet verstehen, dass ich nun meine Leute für die Gefahr entschädigen muss, der Ihr sie ausgesetzt habt." Er deutete auf die Stoffballen, die seine Männer gerade auf den Schoner verluden.

 

Indessen hatten die Seeräuber begonnen, auch die Sklaven an Deck zu bringen. La Bouche trat auf ein junges Mädchen zu, fasste es unters Kinn und hob sein schmutzstarrendes Gesicht zu sich empor. Es starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an.

Er ließ los, schüttelte den Kopf. „Hübsches Kind! Du hast was Besseres verdient." Dann wandte er sich an Walsma. „Die nehmen wir auch mit. Alle!"

Cees nickte Mary zu, dann trat er vor La Bouche. „Monsieur le capitain, braucht Ihr noch einen Koch?"

Mary sah Walsma gerade in die Augen. „Freibeuter sind ehrbare Soldaten wie andere auch. Sklavenhändler dagegen …" Sie drehte sich um und stellte sich neben Cees.

© Annemarie Nikolaus, Dezember 2003

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07