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Wahlrecht                                            

 

 

 

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Eigentlich schien es nur eine beiläufige Bemerkung am Rande einer Konferenz zur europäischen Einwanderungspolitik: Gianfranco Fini (Alleanza nazionale) tat kund, die Zeit sei reif, über ein Stimmrecht bei den kommunalen Wahlen für BürgerInnen aus Nicht-EU-Ländern zu diskutieren.

Der unmittelbare Protest aus den Reihen der Lega nord war vorhersehbar gewesen – und gewiss auch beabsichtigt. Die erste Reaktion der Lega betraf die Frage der Verfassungsmäßigkeit – Wahlrecht fürs Volk oder für die Bevölkerung? Dann konterte sie mit einem Vorschlag zum Staatsbürgerschaftsrecht, in dem von den Einbürgerungswilligen künftig die Kenntnis des Italienischen und der hiesigen Kultur gefordert wird sowie auch die Beherrschung des jeweiligen lokalen Dialekts. Der inzwischen von AN vorgelegte Gesetzesentwurf ist aber auch nicht frei des Absurdem: So zählt zu den Voraussetzung für die Erlangung des Wahlrechts auch der Nachweis eines ausreichenden Familieneinkommens. Justizminister Roberto Castelli (Lega nord) konnte mit Genugtuung feststellen, dass AN damit auf das Wahlrecht des Königreichs Sardinien von 1848 zurückfalle. Aber Details regeln sich eh im Laufe des parlamentarischen Verfahrens ...

Schon im Sommer hatte Fini den Dauerkonflikt mit der Lega dadurch „beenden" wollen, dass er ihren Einfluss auf ein den Wahlergebnissen entsprechendes Maß zurückzudrängen versuchte. Letztendlich war es ihm nicht gelungen; die Lega hatte weiter quer geschossen und die europäische Ratspräsidentschaft ließ Fini einen Waffenstillstand klug erscheinen.

Der Vize-Premier sah sich allerdings mehr und mehr in seiner Führungsrolle innerhalb der Koalition beschädigt. Er brauchte ein Thema, das so einfach ist, dass es jedeR versteht. Ein Thema, mit dem er zum einen die Lega nord isolieren, zum anderen Berlusconi in Zugzwang bringen und zum dritten seine Rolle in einer neuen Mitte stärken konnte. – Föderalismus, Rentenreform, Haushaltsgesetz; da versteht der einfache Mensch nicht recht, wo die entscheidenden Differenzen sind. Kommunales Wahlrecht für ImmigrantInnen; das ist nicht so kompliziert, dazu kann man sich leicht eine Meinung bilden. Nach dem Law-and-order-Gesetz Bossi-Fini (also gemeinsames Produkt), das den Umgang mit den Illegalen sowie den WanderarbeiterInnen regelt, konnte man Fini zudem kaum als „Ausländerfreund" verdächtigen.

Für eine Ausländerpolitik, die mehr auf Integration setzt, kann Fini auf die Katholiken genauso wie auf die Unternehmer und die Gewerkschaften zählen. Die Cei – die italienische Bischofskonferenz – hat dieser Tage daran erinnert, dass sie schon vor zehn Jahren für das kommunale Ausländerwahlrecht eingetreten sei. Der Industriellenverband Confindustria beklagt jedes Jahr aufs Neue, dass die Regierung zu wenige Kontraktarbeiter genehmige: die Landwirtschaft sieht sich existenziell bedroht, weil sie auf Grund der niedrigen Quoten für die legale Zuwanderung unter massivem Arbeitskräftemangel leide.

Fini hatte sich für seinen Vorstoß einen Moment gewählt, in dem Ministerpräsident Berlusconi „aushäusig" war. Berlusconis erste perplexe Reaktion lautete, dass das Thema nicht auf der Tagesordnung des Regierungsprogramms stünde. Zwei Tage später war es für ihn diskutabel und er konzentrierte sich auf die Feststellung, dass der Weg zur Umsetzung ein langer sein würde, da es einer Verfassungsänderung bedürfe. Finis Replik, das parlamentarische Procedere sei bekannt, aber eine politische Entscheidung in der Koalition ginge schnell. Gleichzeitig verwies er darauf, dass die AN sich die notwendige Mehrheit auch direkt im Parlament suchen könnte. Bossi hat inzwischen die Wahlrechtsfrage zu einem der Knackpunkte für das Regierungsbündnis erklärt und Berlusconi muss sich nun was einfallen lassen.

Überrascht hatte Fini auch seine eigene Partei und entsprechend aus deren Reihen Widerspruch geerntet. Aber Fini hat sich noch nie gescheut, eine Spaltung der Partei zu riskieren, wenn er eine bestimmte Linie für langfristig opportun hielt. Auf diese Weise ist es ihm einst gelungen, den traditionellen faschistischen Flügel loszuwerden und AN „gesellschaftsfähig" zu machen. Jetzt geht die Bewegungsrichtung der AN vom rechten Rand zur (rechten) Mitte, vor allem in Zusammenarbeit mit dem Udc – einem der Mini-Nachfolger der Christdemokraten. Schon, wenn es um das Bündnis für die Europawahlen gehen wird, könnte der viel beliebtere Fini Berlusconi erfolgreich die Führungsrolle innerhalb der Koalition streitig machen.

 

© November 2003, Annemarie Nikolaus

 

 

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07