Delta3.jpg (68718 Byte)

Wirtschaft                                            

 

 

 

Home
Nach oben
Zum Web-Inhalt
Veröffentlichungen
Disclaimer

 

Kreative Wirtschaftspolitik

„Alles bricht zusammen – außer den Geschäften des Premierministers", kommentierte der Präsident der Verdi, Alfonso Pecorario Scanio, die jüngsten Wirtschaftsdaten. "Es bricht nicht nur das BSP zusammen, sondern auch die Kaufkraft der Bürger sowie alle anderen Indikatoren der sozialen und ökologischen Entwicklung – und auch die Transparenz gegenüber der Korruption. Jetzt haben wir die statistische Bestätigung, dass die Regierung sich nur für ihre persönlichen Geschäfte interessiert. Während die Wirtschaft zugrunde geht, wachsen die Geschäfte des Premiers." Was er so alarmierend findet, ist die Feststellung des nationalen Statistik-Instituts ISTAT, dass das BSP im zweiten Vierteljahr – genauso wie im ersten – um 0,1% gesunken ist. Das hat es zuletzt 1992 gegeben.

Das ISTAT selber spricht freilich von einem rein „technischen" Wert; weniger Kalendertage, schlichte statistische Schwankung. Und im übrigen bewegten sich die italienischen Daten im europäischen Durchschnitt. Die Confindustria, der Unternehmerverband, rechnet fürs gesamte laufende Jahr mit einem Wachstum von 0,3%.

Die Opposition bewertet die Daten wie „Signor Rossi": Diesem – dem durchschnittlichen Italiener – ist es immer noch nicht recht ins Bewusstsein gedrungen, dass sich Italiens Staatshaushalt und Wirtschaft in den letzten Jahren vergleichsweise mustergültig entwickelt haben. Noch immer sprechen viele stattdessen voller Hochachtung von der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dabei hatte die vormalige Mitte-Links-Regierung den Haushalt so meisterhaft im Griff, dass sie sich zwei Jahre in Folge Steuersenkungen für „Signor Rossi" leisten konnten. Vorbildlich niedrig – im Lichte des Stabilitätspakts - war und ist auch das Haushaltsdefizit: Für dieses Jahre wird, mit Hilfe eines Sparpakets von 16 Mrd. Euro, ein Defizit von 2,8% des BSP angepeilt.

Dennoch scheint Signor Rossi Recht zu haben: Vorzeigeunternehmen wie FIAT stehen in einem beständigen Kampf gegen die Absatzflaute. Die Arbeitslosigkeit im Mezzogiorno erweist sich als resistent gegen alle Maßnahmen. Aber das war auch vor Berlusconi nicht anders und wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass dies die italienische Wirtschaft schon lange nicht mehr charakterisiert. Auch in Italien sind es längst die kleinen und mittleren Unternehmen, die für Arbeitsplätze und Wachstum sorgen. Und die offizielle Arbeitslosen-Statistik ist im Gegensatz zu anderen Ländern eher schlechter als die Realität, da sie die Schattenwirtschaft des Südens nicht zu erfassen vermag.

Handlungsbedarf besteht für Wirtschaftsminister Giulio Tremonti vor allem in struktureller Hinsicht. Auch wenn Italien es bislang nicht nötig zu haben scheint, hat er sich dafür ausgesprochen, im Stabilitätspakt zu diesem Zweck ein größeres Defizit zu erlauben.

Der bemerkenswerte Einfallsreichtum der Regierung Berlusconi für innovative wirtschaftspolitische Maßnahmen findet seine Schranken jedoch oft in den Wettbewerbsregeln der EU. Jüngstes Beispiel der Parlamentsbeschluss zur „Rettung des Fußballs": Beschränkt auf das Jahr 2003, fiskalische Besserstellung für die professionellen Vereine, indem sie in ihren Bilanzen dem Wertverfall einzelner Spieler Rechnung tragen dürfen, wenn sie sie aufgrund der Krise nicht zum Einkaufspreis transferieren können – „Abschreibung" gewissermaßen. Und wie man weiß, ist auch Silvio Berlusconi Besitzer eines Fußballvereins. Der italienische EU-Kommissar Mario Monti hat daraufhin eine Untersuchung eingeleitet, ob dies nicht eine unzulässige Staatshilfe sei, die zu Wettbewerbsverzerrung führe: „Denn", so Monti, „wir wissen, dass Sport und Kultur besondere Aufmerksamkeit erfordern, weil sie wichtige kommerzielle Aspekte beinhalten".

Schwer wiegender war allerdings die Ausdehnung der – im Süden zulässigen - Investitionshilfen des Gesetzes „Tremonti bis" auf die Gemeinden des Nordens vor den Regionalwahlen. Sowohl dem europäischen Wettbewerbskommissar wie dem Präsidenten der Confindustria und dem DS-Sekretär Piero Fassino galt dies als schieres Wahlmanöver.

Mario Monti hat derweilen mehrfach gebeten, Italien möge nicht so viel Lärm um eine eventuelle Revision des Stabilitätspakts machen. Um so schwieriger würde sie: Italien habe sich zwar als unerwartet virtuos im Umgang mit den Finanzen erwiesen. Dennoch sei es nicht zu vermeiden, dass die übrigen Europäer glaubten, wenn Italiener Vorschläge machen, rieche es „nach Verbranntem".

© September 2003, Annemarie Nikolaus

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07