Delta3.jpg (68718 Byte)

Haussegen schief                                            

 

 

 

Home
Nach oben
Zum Web-Inhalt
Veröffentlichungen
Disclaimer

 

Es knirscht im Gebälk

"Die Regierung wird stürzen, du wirst sehen!", prophezeien neuerdings viele ItalienerInnen. Dabei scheint es rechnerisch fast absurd: Berlusconis Koalition hat in der Abgeordnetenkammer eine höchst komfortable Mehrheit und ist dort nicht einmal auf Umberto Bossi angewiesen; die Lega nord wird nur im Senat gebraucht.

Aber seit den lokalen Wahlen im Mai/Juni hängt der Haussegen schief im Casa delle Libertà. In zwei Regionen, zwölf Provinzen und 502 Städten und Gemeinden waren insgesamt elfeinhalb Millionen ItalienerInnen gefragt gewesen. Anders als bei den lokalen Wahlen vor einem Jahr hat die Opposition dort, wo sie mit gemeinsamer Liste angetreten ist, sich deutlich besser geschlagen als die Parteien der Regierungskoalition. Die Lega nord insbesondere, die im vergangenen Jahr noch zu den Gewinnern gehört hatte, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die einstige Hochburg, den mittelständisch geprägten Nordosten – Friuli-Venezia Giulia – hat sie gar gleich im ersten Wahlgang an den Kaffeeproduzenten Riccardo Illy verloren. Dass centrodestra die Region verlor, schreibt Gianfranco Fini (Alleanza nazionale) der Tatsache zu, dass die Lega auf ihrem eigenen Kandidaten bestanden hatte.

Nach dem Mehrheitswahlrecht aufs ganze Land hochgerechnet hätte centrosinistra nun 51,6% statt der 47,7% bei den nationalen Wahlen vor zwei Jahren und Berlusconis Koalition würde um mehr als 4% auf 45,8% sinken. Allerdings muss man dazu wissen, dass sich die Stimmen seit Langem ziemlich genau hälftig verteilen und daher schon geringe Verschiebungen im Abstimmungsverhalten in den Ergebnissen zu signifikanten Veränderungen führen. Aber sie kommen nur dann zum Tragen, wenn centrosinistra als kompakter Block antritt – wozu die Opposition vielfach nicht einmal auf lokaler Ebene imstande war.

Sofort nach dem ersten Wahlgang hatte Fini eine Überprüfung der Regierungspolitik gefordert. Besonders schwer wog für die An der Verlust der Provinz Rom, wo sie bisher den Präsidenten gestellt und damit ein Gegengewicht gegen die Stadt hatte, die seit zwölf Jahren von den „Linken" regiert wird. An hält das dortige Ergebnis für ein politisches und nicht bloß ein „verwaltungsmäßiges" Votum. Fini dazu: „Wir können schließlich nicht vorgeben, die Wähler hätten uns nicht verstanden." Das vergangene Jahr war gekennzeichnet von politischen Streiks, Friedensdemonstrationen und scharfen Auseinandersetzungen um die Justizpolitik. Zuerst hatten die Gewerkschaften mobil gemacht, dann die Intellektuellen und sogar Teile des Justizapparats, schließlich die „no-globals". Nun, knapp zur Halbzeit der Wahlperiode, beginnen die ItalienerInnen eben auch mit dem Stimmzettel zu reagieren.

Eine Ohrfeige für Silvio Berlusconi auch von der Abgeordnetenkammer; just an dem Tag seines missratenen Auftritts vor dem Europaparlament: Alleanza nazionale stimmte für einen – ausgerechnet - von der Rifondazione comunista eingebrachten Antrag gegen die Veräußerung von Immobilien des Verteidigungsministeriums und brachte damit das Regierungsdekret zu Fall.

Noch mag niemand Berlusconi seine Führungsrolle streitig machen. Aber innerhalb der Koalition beginnen sich die Machtverhältnisse zu verschieben und die ehemals „faschistische" Alleanza nazionale rückt immer mehr in den Vordergrund. Fini selber, der seit Jahren bemüht ist, auf europäischer Ebene als moderater Politiker akzeptiert zu werden, gewinnt auch deshalb Profil, weil ihn viele für den vertrauenswürdigeren Politiker halten, selbst wenn sie seine politischen Positionen ablehnen.

Fini ist es auch, der gegen Bossi auftritt. „Das Casa delle Libertà bewegt sich in einer nationalen und europäischen Logik, während die Lega sich von Parzialinteressen leiten lässt, geografisch beschränkt auf das inexistente Padanien (…) ohne sich im geringsten um die gemeinsamen Werte der Parteien des Casa delle Libertà zu scheren, angefangen von der sozialen Solidarität bis zur nationalen Einheit." Unverhohlen forderte er von Berlusconi, Bossi auf Linie zu bringen. Aber der hält es für opportun, der Lega entgegenzukommen und will zumindest die Föderalismus-Reform in Angriff nehmen.

Der zentrale Dissens liegt allerdings in der Rentensanierung. Bossi hat gedroht, die Regierung zu verlassen, wenn Sparmaßnahmen beschlossen werden. Schon die erste Regierung Berlusconi war 1994 über die Rentenfrage gestürzt. Unter wahltaktischen Gesichtspunkten kann sich die Lega dieses Mal allerdings kein Zerwürfnis mit Berlusconi leisten. Dennoch spekuliert die Opposition mittlerweile über Neuwahlen im nächsten Jahr.

 

                            © Juli 2003, Annemarie Nikolaus

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 16/01/07