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Ende einer Ära

Château Margaux, das prestigeträchtige französische Weingut, gehört zu drei Viertel der Familie Agnelli. Die Hälfte des spanischen 'Unidad Editorial', das die Zeitung "El Mundo" herausgibt, ist im Besitz der Verlagsgruppe Rizzoli - unter den Gesellschaftern die Agnellis. Banken, Stromkonzerne, Versicherungen, Telekommunikation und Medien, eine börsennotierte Immobilienfirma, Club Mediteranée, der Fußballclub Juventus Turin - und natürlich Autos; neben LKWs und Nutzfahrzeugen auch Ferrari, Alfa Romeo, Lancia und Maserati.

Das Familienimperium, das Giovanni Agnelli nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hat, steht in seiner Bedeutung in einer Reihe mit den beiden großen italienischen Staatskonzernen IRI (Stahl) und ENI (Chemie).

Aber das Zeitalter der Giganten scheint vorbei. Die beiden Staats-Holdings werden seit Jahren Schritt für Schritt privatisiert und in ihre Einzelteile aufgelöst. Um sich zu behaupten und als Einzelunternehmen börsenfähig zu werden, müssen sie sich überdies neue Geschäftsfelder suchen, zum Beispiel im Umweltschutz.

Seit einigen Jahren gibt es ENI-Ambiente für Forschung und Sanierung von Altlasten: Der Konzern kennt ja seine Produkte und Produktionswege. Dritte Anbieter können sie unterbieten, weil angesichts der eh laufenden Ausgaben jede noch so kleine Einnahme die Verluste senkt. Die Materialforschungseinrichtung der IRI versucht sich mit ihren Laborkapazitäten in der Umweltanalytik zu etablieren: Sanierungsgelände von "nationalem Interesse" wie Neapel-Bagnoli gehören zum Konzern und so werden Aufträge gerne ans CSM vergeben. So änderten sich die formalen Strukturen der beiden Holdings, aber die alten Geschäftsverbindungen wurden "gerettet".

Zwecks Rettung von FIAT Auto droht nun auch dem Famlienunternehmen der Weg der Staatskonzerne. Von fast allen Seiten wird gefordert, dass sich die Agnellis auf das Kerngeschäft besinnen mögen und andere Beteiligungen abstoßen, damit die Autosparte in italienischer Hand bleibt. Denn FIAT ist Italien und FIAT ist Auto..

Der Konzern ist ein Zentrum der Krise, die Italien im vergangenen Jahr erfasst hat. Seit Februar 2003 gelten dessen Aktien gar als "junk". In dem Monat war der Autoabsatz insgesamt um 8% gestiegen, aber FIAT hatte keinen Anteil daran. Zwar war der Rückgang um über 10% auch der Überschwemmung Ende Januar in Termoli geschuldet, aber anders auch in den Vormonaten war es kaum anders gewesen.

Bis 2001 hatte die Wirtschaft mit immer besseren Zahlen geglänzt; das Staatsdefizit sank. Die internationale Rating-Agentur Moody's setzte im Mai 2002 Italien um einen Punkt hoch: Italien war im europäischen Reigen nur noch vorletzter (vor Griechenland.). Silvio Berlusconi freute sich und die Opposition schrieb das Ergebnis auf ihre Fahnen, denn die Fortschritte zwischen 1995 und 2001 fielen weitgehend in ihre Regierungszeit.

Gleichzeitig aber mit dem neuen Rating veröffentlichte ISTAT - die statistische Landesbehörde - verheerende Daten über das erste Vierteljahr 2002: Der Einbruch der Industrieproduktion um 7,6% war so gravierend wie seit August 1996 nicht mehr, vor allem geschuldet dem Rückgang der Autoproduktion um 15%. Seither geht es Monat für Monat in fast allen Branchen so weiter. Lediglich die Dienstleistungen können sich noch halbwegs behaupten.

Dennoch verbreitete im vergangenen Jahr selbst Zentralbank-Präsident Fazio verhaltenen Optimismus. Inzwischen wird der Ruf nach strukturellen Reformen lauter. Aber es werden lediglich die alten, von keiner Regierung eingelösten, Rezepte wiederholt, von mehr Staatsbeteiligung bis zu Beschäftigungsförderung aller Art für den Mezzogiorno. Fazio selber hofft auf die großen Infrastrukturprojekte wie die Brücke über die Meerenge von Messina oder den Hochwasserschutz für Venedig.

Die Opposition beklagt die Abwesenheit einer "Industriepolitik" und ist sich darin mit den Gewerkschaften einig. Vorschläge? Beibehaltung der überlieferten Rechte.

Die bemerkenswertesten außerparlamentarischen Aktivitäten zum Thema Industriepolitik im vergangenen Jahre waren die Streiks. ISTAT meldete kürzlich einen Anstieg von 355% (!) gegenüber 2001. 32,7 Millionen Arbeitsstunden gingen dadurch verloren, fast soviel wie im Rekordjahr 1990. Kaum mehr als 15% dieser Streiks betrafen Tarifverträge und Löhne - die Einkommen sind eh um 2,6% gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Alles andere fällt unter die Kategorie "politische Streiks", von der Beibehaltung des alten Kündigungsschutzes bis zum Erhalt von Produktionsstätten.

        © Annemarie Nikolaus, April 2003

 

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 15/01/07