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Terrorismus                                            

 

 

 

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Terrorismusjagd auf Landesart?

Anfang August wurde auf einer Baustelle des Landwirtschaftsministeriums eine Bombe gefunden, zu der sich angeblich „radikale Anarcho-Ökologen" bekannt haben, die damit gegen gentechnische Experimente protestieren wollten. Mitte Juli waren Flugblätter mit Drohungen gegen den Landwirtschaftsminister aufgetaucht, unterzeichnet von einem Zweig der „Brigate rosse" (Br); in einer e-mail an einen lokalen Fernsehsender distanzierten sich aber die „Brigate rosse" von den Flugblättern. Außerdem gab es eine Reihe von Flugblättern unter dem Zeichen der Br gegen einzelne Führer der Gewerkschaften CISL und UIL - der beiden Gewerkschaften, die in den letzten Monaten für eine Linie der Kooperation mit der Regierung offen gewesen waren. Ein paar Tage später wurden vor dem Sitz von FIAT in Mailand und einem Büro der CISL Bomben gefunden, zu denen sich eine Fronte rivoluzionario per il comunismo (Revolutionäre Front für den Kommunismus) bekannte. Eine andere "antiimperialistische" Gruppierung, die Nta, schlug in einem Schreiben den Bogen zu den Attentaten an D’Antona 1999 und dem im letzten März ermordeten Roberto Biagi, die beide die jeweiligen Regierungen in Fragen der Arbeitsmarktpolitik beraten hatten.

Die bedrohten Gewerkschaftsführer zeigten sich besorgt und fragten sich, wo sie den eventuell nötigen Schutz her kriegen sollen. Außerdem forderte Savino Pezzota, Sekretär der CISL, dass endlich die Ermittlungen zu den Morden an den beiden Regierungsberatern „konkreter" würden. Die Eskorte des Landwirtschaftsministers wurde verstärkt. Staatspräsident Ciampi rief - wieder einmal - zum parteiübergreifenden Kampf gegen den Terrorismus auf.

Pier Luigi Vigna, der leitende Staatsanwalt der Nationalen Anti-Mafia-Direktion schlug Anfang August dem Justizminister die Koordinierung der Ermittlungen gegen den Terrorismus durch seine Institution vor. In der dazu veröffentlichten Begründung weist Vigna auf die von den Geheimdiensten befürchteten weiteren terroristischen Anschläge hin und auf neue Drohungen von Seiten der Mafia. Vor allem aber spricht er von Querverbindungen zwischen Terrorismus und organisierter Kriminalität: Die Wege des Waffenhandels würden über die Mafia-Strukturen laufen.

Das war das erste Mal seit langem, dass öffentlich über derartige Verflechtungen gesprochen wurde. Vigna hat zudem seinen Vorschlag gemacht zu einem Zeitpunkt, da die Ermittlungen im Mordfall Biagi immer seltsamere Wendungen nehmen. Und insbesondere weit davon entfernt sind, sich mit den Attentätern zu befassen.

Parallel zur Suche nach den Mördern hatte der Kabinettschef von Innenminister Scajola im Frühjahr eine Untersuchung über eventuelle Versäumnisse der Verwaltungen und öffentlichen Institutionen eingeleitet. Nach dem Mord an D‘Antona hatte Roberto Biagi in allen Städten, in denen er tätig war, eine Eskorte gehabt. Wie vielen anderen potentiell bedrohten Personen war auch ihm im vergangenen Herbst dieser Schutz entzogen worden. Das Ergebnis bekamen nicht nur der Innenminister und die Staatsanwaltschaft von Bologna, sondern auch der dazu tätige parlamentarische Untersuchungsausschuss.

Der Untersuchungsausschuss kam Ende Juli zu dem Schluss, das die Hauptschuld an der fehlenden Eskorte in Bologna zu suchen sei: Das Polizeipräsidium dort habe Biagi nicht nur wie einen „Simulanten" behandelt, sondern auch die anderen, für Biagis Schutz zuständigen Präfekturen, negativ beeinflusst.

Seit Anfang August nun laufen Vorermittlungen gegen den Polizeipräsidenten und den Präfekten von Bologna sowie in Rom gegen Carlo de Stefano, den Chef der „vorbeugenden Polizei" (Anti-Terrorismus-Einheit) und seinen Vize wegen der verweigerten Eskorte. Die erste Vorladung war an den Polizeipräsidenten von Bologna gegangen; die übrigen gerieten im Anschluss an seine Aussagen ins Visier der Ermittlungsrichter. War der Anfangsvorwurf schlicht „unterlassene Amtshandlung", kam ein paar Tage später „fahrlässige Tötung" dazu.

Ins Visier waren die Behörden in Bologna unter einem anderen Aspekt schon Anfang Juli geraten: Da hatte der CSM - die nationale Organisation der Ermittlungsrichter - angekündigt, eine Untersuchung einzuleiten, ob es der Staatsanwaltschaft in Bologna tatsächlich an Personal und Mitteln für eine zügige Aufklärung des Mordes an Biagi mangele.

Die wohl bemerkenswerteste Theatercoup war aber Ende Juni mit der Veröffentlichung einer Reihe von Briefen Biagis verbunden, in denen dieser um Schutz gebeten hatte; nicht nur wegen der Frage, wie das „no-global"-Blatt wohl an diese gekommen sei. Beim Abdruck in „Zero in condotta" fehlte ein Satz aus den Originalen, in dem sich Biagi darüber beklagt, dass der CGIL-Gewerkschaftsführer Sergio Cofferati eine Politik der Konfrontation betreibe, die ihn, Biagi, zum Feindbild mache, er allerdings nicht wolle, dass dieser Konflikt mit Cofferati instrumentalisiert werde.

Des Innenministers erste süffisante Reaktion war, dass die Veröffentlichung der Briefe wohl ein Manöver innerhalb der Linken sei, um Cofferati zu treffen. Aber selbst Fini (AN) ging der Angriff auf den Gewerkschaftsführer zu weit und Produktionsminister Marzano sah sich genötigt, darauf hinzuweisen nicht zu vergessen, dass doch der eigentliche Feind der Terrorismus sei.

Dass Scajola bei der Gelegenheit auch abwertende Bemerkungen über Biagi machte, hat ihn dann das Ministeramt gekostet. Die Amtszeit Cofferatis dagegen ist bis zum September verlängert worden.

© August 2002, Annemarie Nikolaus

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 28/12/06