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                              Kraftprobe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Gewerkschaftspolitik

Einen neuen Generalstreik hat Sergio Cofferati, scheidender Vorsitzender der größten Gewerkschaft - CGIL -, angekündigt. So recht sicher ist zwar nicht, ob der Streik vom April tatsächlich ein Erfolg gewesen war, aber das hindert ja nicht. Weder konnte das Land lahmgelegt werden, noch fühlt sich die Regierung Berlusconi bislang genötigt, von der geplanten Änderung des §18 des Arbeitsstatuts Abstand zu nehmen.

Herausgekommen ist bislang lediglich, dass - einem Ablenkungsmanöver gleich - die flankierenden sozialen Maßnahmen verbessert werden. Bestätigt hat sich aber inzwischen - bei den Kommunalwahlen Ende Mai/Anfang Juni -, dass beinahe halb Italien nach wie vor gegen die Regierung Berlusconi ist. In einzelnen wichtigen Städten - wie z.B. Genua und Verona - hat es sogar überraschend deutliche Siege der Oppositionsbündnisse gegeben. Der verzankte Ulivo hat darüber die Hoffnung geschöpft, die centrodestra sei „nicht unschlagbar". Die italienischen Grünen haben dies gar als erstes Anzeichen einer Trendwende gewertet.

Somit scheint der Augenblick günstig, die Kraftprobe mit der Regierung zu wiederholen. Ein geheimes Motiv dürfte für den CGIL auch sein, sich damit die eigene führende Rolle unter den großen Gewerkschaften bestätigen zu lassen. Die anderen beiden bedeutenden „linken" Gewerkschaften, CISL und UIL, hatten im April den Generalstreik mitgetragen. Danach aber haben sie das Angebot der Regierung angenommen, gemeinsam die Chancen für Verhandlungen auszuloten.

Anfang Juni hat der CGIL nun sechs Stunden Generalstreik bis zur Sommerpause im August beschlossen; die ersten vier Stunden in Etappen auf regionaler Ebene. Der Kurs wird von Fausto Bertinottis Rifondazione comunista unterstützt. Obendrein will Bertinotti ein Referendum in Gang setzen, dass die bisher geltenden Garantien auf Betriebe mit weniger als fünfzehn Beschäftigten ausdehnt.

Der CGIL setzt darauf, dass zumindest die ersten Streiks in der Lombardei und dem Piemont auf spürbare Resonanz stoßen. Ausgelöst durch die Krise bei Fiat, hat es in den letzten Wochen in den Fabriken des Konzerns mehrfach spontane Arbeitsniederlegungen und Streikversammlungen gegeben. Angesichts der wachsenden Gefahr von größeren Entlassungen sehen sich die Fiat-Beschäftigten durch die geplante Änderung des Kündigungsschutzes unmittelbar betroffen.

Mit ihrem radikalen Kurs stößt der CGIL aber nicht nur bei den „konkurrierenden" Gewerkschaften auf Ablehnung. Auch Oppositionsführer Francesco Rutelli begrüßt Verhandlungen mit der Regierung und warnt, dass eine gespaltene Gewerkschaftsbewegung nur verlieren könne.

Wohlfahrtsminister Roberto Maroni hat nun vier „Runde Tische" einberufen. An einem geht es um die Abgaben- und Finanzpolitik der Regierung. Der zweite befasst sich mit der Lage im Mezzogiorno, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und Infrastrukturmaßnahmen; der dritte mit der Schwarzarbeit.

Und zum Vierten geht es um die Reform des Arbeitsmarktes. Die Regierung hatte vorgeschlagen, die geplanten Änderungen § 18 des Arbeitsstatuts auszugliedern und einem späteren Gesetzgebungsverfahren zu überlassen. Mit diesem Angebot hat sie die entscheidende Bresche in die Gewerkschaftsfront geschlagen und Bereitschaft zu Gesprächen „über alle Themen" erreicht.

Ganz kann sich aber auch der CGIL nicht verweigern, will er nicht darauf verzichten, konkret Einfluss zu nehmen. Darum nimmt er nun an den drei Verhandlungsrunden zu den sozialen Fragen teil. Aber für den Herbst hat er schon mal einen erneuten landesweiten Generalstreik in Aussicht gestellt, falls die Regierung bis dahin nicht zu wesentlichen Kompromissen bereit ist.

Luigi Angeletti, Chef des UIL, erhofft sich von Verhandlungen mit der Regierung eine solidere Arbeitslosenunterstützung und neue Programme zur Verbesserung der Vermittlungschancen; weniger Steuern für die unteren Einkommensklassen; öffentliche Investitionen im Süden und weniger Schwarzarbeit. Und ein sehr politisches Ergebnis: Eine Regierung, die künftig darauf verzichtet, gegen die Auffassungen der Gewerkschaft zu entscheiden. Die Haltung des CGIL ist für ihn „defensive Festungspolitik".

Savino Pezzotta, Sekretär des CISL, hat sich gar auf direkte Konfrontation mit Cofferati eingelassen und wirft ihm vor, mit seiner Strategie persönliche Interessen zu verfolgen. Pezzotta wie Angeletti sehen sich seit Langem vor dem Problem, dass ihre Gewerkschaften den Initiativen des CGIL häufig nur nachzutraben scheinen.

Niemand in den Reihen der italienischen Gewerkschaften hat auch nur annähernd politischen Einfluss und persönliches Charisma wie Sergio Cofferati. Cavriglia bei Arezzo, das „roteste Dorf" Italiens - 78 % DS-WählerInnen -, hat ihm kürzlich die Ehrenbürgerschaft verliehen. In Venedig hat man ihm ein Fahrrad geschenkt, damit er mit Romano Prodi ein Tandem bilde. Aus den Reihen seiner eigenen Partei, der DS, wird im aber auch vorgehalten, er habe eine einmalige historische Gelegenheit verpasst, weil er als Führer einer linken Gewerkschaft seine Macht nicht genutzt hat, grundlegende Reformen zu unterstützen, als die centrosinistra an der Regierung war.

Generalsekretär des CGIL war er seit 1994. Das Gewerkschaftsstatut verbietet seine erneute Wiederwahl; er will im Herbst zur Arbeit bei Pirelli zurückkehren. Bislang weist er jede Vermutung zurück, er würde sich für ein politisches Mandat interessieren; trotzdem wird er von vielen als der kommende Führer der Opposition gehandelt.

 

© Annemarie Nikolaus, Juni 2002

 

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 24/12/10