Delta3.jpg (68718 Byte)

Wandel                                            

 

 

 

Home
Nach oben
Zum Web-Inhalt
Veröffentlichungen
Disclaimer

 

Schlaglichter zur Entwicklung

„Wir amerikanisieren uns", ist das Fazit des Soziologen Domenico De Masi angesichts der jüngsten statistischen Daten - aus 2001 - über Italien und die ItalienerInnen. „Im Guten wie im Schlechten."

Im Guten: Die Ausgaben des Staates für die Universitäten sind um 37% gestiegen. - Die Präsenz der Frauen im Bildungssektor und der Arbeitswelt ist deutlich größer als zuvor. 96% aller neugeschaffenen Arbeitsplätze der letzten acht Jahre sind an Frauen gegangen. - Die Ausgaben für Kommunikation sind höher geworden; die Gesellschaft informatisiert sich. Fast ein Drittel der Familien besitzt mindestens einen PC; 19% aller über 11jährigen - neun Millionen ItalienerInnen - sind im Internet zuhause. Ein interessantes Detail: Fast vier Millionen lesen die Tageszeitung im Internet.

Im Schlechten: Die Ungleichheiten sind weiter gewachsen - die Kluft zwischen Arm und Reich wie die Kluft zwischen Süd und Nord. Was Professor De Masi daran am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, dass diese Entwicklung unter einer Mitte-Links-Regierung stattfand. „Was", fürchtet er, „wird nun unter der Rechten passieren?"

68% der Familien, in denen alle arbeitslos sind, leben im Süden. Entsprechend ist die ökonomische Schere zwischen dem Nordosten und dem Süden weiter gewachsen. Die norditalienische Familie verfügt über rund ein Viertel mehr Geld als die süditalienische. Im Landesdurchschnitt hat im Jahr 2000 jede Familie monatlich knapp 2.200 € ausgegeben.

Im Süden wird weniger Geld für Internet und Satellitenfernsehen aufgewandt, es werden weniger Zeitungen gelesen als im Norden. Die daraus entstehende Wissenskluft verringert die Beschäftigungsmöglichkeiten zusätzlich.

Insgesamt ist der Lebensstandard der ItalienerInnen angestiegen. Im Schnitt konnten sie es sich leisten, 8,8% mehr für Urlaub, Essen außer Haus, Freizeit und Kultur auszugeben. 63% der verfügbaren Einkommen sind allerdings für unvermeidliche Kosten wie Wohnen, Lebensmittel, Transport und Kommunikation - vor allem Handies - gebunden.

Ein anderes Datum zur Lebensqualität haben die Gesundheitsdienste geliefert: In den letzten drei Jahren ist die mittlere Lebenserwartung erneut um mehr als ein Jahr gewachsen; in den letzten rund zwanzig Jahren sind die ItalienerInnen im Durchschnitt zwei Millimeter größer geworden als die Vorfahren. Aber auch hier wieder eine deutliche Kluft zwischen Nord und Süd: im Nordosten werden sie im Schnitt 178,01 cm lang; in Sardinien sind sie fast sieben Zentimeter kleiner.

Vor allem Stress und Umweltverschmutzung konterkarieren aber das eigentlich recht gesunde Leben; vor allem unter den Älteren steigen die Atemwegs- und Herz-und-Kreislauf-Krankheiten. Allergien und psychosomatischen Erkrankungen nehmen zu. Und auch hier gibt es regionale Besonderheiten: Wer in Sizilien ins Krankenhaus muss, wird eher depressiv als anderswo.

Eine Zahl stellt die landläufige Meinung über ungleichen Entwicklungen - und die damit verbundene angebliche Rückständigkeit des Südens - geradezu auf den Kopf: Die Geburtenrate ist im Norden deutlich höher als im Süden. Spitzenreiterinnen sind die Frauen in der Region Südtirol-Trentino: Die Autonome Provinz Bozen war - vor zehn Jahren - die erste, die mit gezielten finanziellen Förderungen begann: zusätzlich zu den sonstigen staatlichen Familienhilfen einkommensabhängig bis zu 2250 Euro Beihilfe bei der Geburt; Kindergeld von 180 Euro für die ersten zwei Lebensjahre. Die Schaffung eines Tagesmutterdienstes; für die Beschäftigen des Öffentlichen Dienstes 32 Monate Elternurlaub mit Arbeitsplatzgarantie sowie kindorientierte, flexible Arbeitszeiten. Viele private Firmen haben sich inzwischen angepasst.

Die Familienpolitik der Provinz wird in ihrer Effizienz unterstützt durch die landwirtschaftliche Kultur. Im Unterschied zu den meisten anderen alpenländischen Regionen - auch außerhalb Italiens - gibt es praktisch keine Landflucht und die bergbäuerlichen Gemeinschaften sind vielfach noch intakt. In den Bergtälern Südtirols ist es normal, dass eine Familie vier bis fünf Kinder hat. „Normal" sind auch ledige Mütter. Der Meraner Schriftsteller Joseph Zoderer schätzt, dass 20% der jungen Leute schon ein Kind haben, wenn sie heiraten.

Im Landesdurchschnitt bedeutet die Familie für die Frauen immer noch ein Hindernis: Verheiratete Frauen im Alter zwischen 30 und 39 Jahren, die keine Kinder haben, arbeiten zu 72%; gleichaltrige Mütter sogar nur zu knapp 49%. Dagegen sind inzwischen 89% aller alleinstehenden Frauen berufstätig. In den letzten Jahren beteiligte sich eine wachsende Zahl von Firmen am „Tag der arbeitenden Mütter"; aber bislang verharrt der auf folkloristischem Niveau. In der europäischen Statistik gehört Italien bezüglich der Frauenerwerbstätigkeit nach wie vor zu den Schlusslichtern.

Auch sonst ist die italienische Arbeitswelt immer noch anders organisiert als der europäische Durchschnitt. Während es das übrige Europa auf durchschnittlich 15 Beschäftigte pro Betrieb bringt, arbeiten in italienischen Firmen im Mittel 8,7 Menschen - angeblich. Zu den europäischen Spitzenreitern gehört Italien nämlich bezüglich der Schwarzarbeit. Alle Maßnahmen der letzten Jahren, die - straffreie - Legalisierung zu fördern, haben keine Fortschritte gebracht; sie ist sogar weiter gestiegen: Nach den aktuellen Zahlen des ISTAT - des nationalen Statistik-Amtes - sollen es durchschnittlich 15,1 Prozent sein, mit Spitzenwerten zwischen 25 und 27 % im Süden - und entsprechend fehlender Alterssicherung.

© Mai 2002, Annemarie Nikolaus

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 28/12/06