Delta3.jpg (68718 Byte)

Protest                                            

 

 

 

Home
Nach oben
Zum Web-Inhalt
Veröffentlichungen
Disclaimer

Generalstreik

„Auch ein Generalstreik ist ein völlig legitimes demokratisches Instrument." Arbeitsminister Roberto Maroni hatte schon bei anderen Gelegenheiten betont, dass die Gewerkschaften ruhig streiken könnten, wenn sie es für sinnvoll hielten. Es schaffe zwar die eine oder andere Ungelegenheit für die Bevölkerung, aber dass müsse eben in Kauf genommen werden. Er sieht in Streiks kein Problem - sie haben auf seine Politik keine Auswirkungen.

Gut eine Woche vorher schon prangte ein großes gelbes Plakat an der Vorschule meiner Tochter: Generalstreik am 16. April. - Was? Hier auch? Meinen die das Ernst? Ja natürlich; aber Caterina ging dann doch in die Schule. Ihre Lehrerinnen sahen den Sinn des Generalstreiks nicht recht ein.

Der ursprüngliche Anlass war die geplante Änderung des § 18 des Arbeitsstatuts (s. "Gewerkschaften, Arbeitsmarkt und Wettbewerb") Damit sich aber möglichst viele motiviert fühlen, am Streik teilzunehmen, hatte er schließlich alles Mögliche als Thema: die Änderung des § 18 des Arbeitstatuts, Regelungen zur Sozialversicherung, der nationale Haushalt, das Schulsystem, die Gesundheitspolitik …

Diese Taktik ging auf. In Umfragen vor dem Generalstreik erklärten etwa die Hälfte der Befragten, sie würden teilnehmen. Und wenn auch nur in einige Bereichen sich hohe Streikbereitschaft abzeichnet, wird das Ganze zum „Selbstläufer". Wenn die Schulen streiken, ist ein Elternteil gezwungen, gleichfalls zu „streiken", um die Kinder zu betreuen. Wenn der öffentliche Verkehr nicht richtig funktioniert, versuchen die Pendler erst gar nicht, an ihren Arbeitsplatz zu gelangen.

Effektiv gestreikt haben dann - regional unterschiedlich - von 40 bis über 80 Prozent in der Industrie, mit Spitzenbeteiligungen im Süden; und um die 50% in den öffentlichen Verwaltungen. Am Vortag waren keine Tageszeitungen produziert worden; somit beteiligte sich faktisch auch die Presse am Streik. Am Streiktag selber legten zur „Unterstützung" auch die JournalistInnen von Rundfunk und Fernsehen ihre Arbeit nieder. Von den ZeitungsjournalistInnen wurde hernach heftig beklagt, dass auf diese Weise dem Generalstreik die öffentliche Präsenz entzogen war und dadurch seine Wirkung reduziert worden sei.

"Lahm gelegt" wirkte das Land vor allem deshalb, weil ein großer Teil der Beschäftigten der öffentlichen Dienste streikten. Paradox, denn die geplante Gesetzesänderung wird in erster Linie den privaten Sektor betreffen. Praktisch hatte der Streik wenig Auswirkungen. Vorsichtshalber wurden die Einkäufe am Vortag erledigt; der kleine Supermarkt an der Ecke hatte dann aber doch offen. Familienbetriebe waren sowieso vom Streik ausgenommen; in fast allen Handwerksfirmen wurde auch gearbeitet. Für Außentermine wurde das eigene Auto benutzt oder sie wurden verschoben. Am Tag danach tat die Presse ihre Pflicht und berichtete in allen Einzelheiten, sowohl von den Kundgebungen und den Streikenden wie über jene, die sich nicht am Streik beteiligt hatten. Doch zurück blieb lediglich das Gefühl, einen zusätzlichen Feiertag gehabt zu haben. Und nach dem Flugzeugabsturz in Mailands höchstes Gebäude ist das öffentliche Bewusstsein vollends abgelenkt.

Strategisch zeichnet sich jetzt schon ab, dass ausgerechnet die „kluge" Mobilisierungstaktik der umfassenden Zielrichtung des Streiks ein Bumerang wird. Die Regierung kann kompromissbereit auftreten, ohne sich hinsichtlich des ursprünglichen, zentralen, Anliegen des Streiks auch nur einen Millimeter zu bewegen. Ein Tag wurde mit dem Austausch von Zahlen über die effektive Beteiligung verbracht, sowie mit Erklärungen und Aufforderungen zur „Rückkehr an den Verhandlungstisch". Danach erklärte Ministerpräsident Silvio Berlusconi kategorisch, dass die Regierung an der Änderung des Kündigungsschutzes wie vorgesehen festhält. Gleichzeitig befasste sich Arbeitsminister Maroni mit den sozialpolitischen Forderungen des Generalstreiks und kündigte eine Verbesserung des sozialen Netzes für Arbeitslose an. In Wahrheit schon von dem kürzlich ermordeten Regierungsberater Marco Biagi konzipiert, soll z.B. die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von jetzt sechs Monaten auf ein Jahr verlängert werden. Außerdem sollen die Leistungsbeträge erhöht werden. Weitere Maßnahmen sollen darüber hinaus die Chancen bei der Arbeitsuche verbessern. Alles Vorschläge, die bestens für Verhandlungen mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden taugen, und bei denen die Regierung schon mit kleinen Zugeständnissen einen guten Eindruck machen kann.

Die italienische Sprache hat eine sehr passende Formulierung: „Il rito si è consumato" - „Das Ritual hat sich verbraucht." Was voraussichtlich bleibt von diesem ersten Generalstreik nach 20 Jahren ist die Bestätigung der Wahlergebnisse, dass das Land seit Langem praktisch in zwei gleich große Lager geteilt ist. Den Gewerkschaften ist es gelungen, jene Hälfte Italiens zu mobilisieren, die sich als Gegner der jetzigen Regierung begreift.

Den Parteien der Opposition gelingt das derzeit nicht einmal in Ansätzen, weder einzeln noch gemeinsam. Es ist ihnen nicht einmal gelungen, innerhalb dieser gewerkschaftsorganisierten Bewegung ihr Profil zu zeigen, geschweige denn, eine Rolle zu spielen. Aber als parlamentarische Opposition kriegen sie auch nicht viel zustande. Sie sind in den letzten Monaten so ausgiebig damit beschäftigt, sich intern und gegenseitig zu beharken, dass keine Energie für effiziente Angriffe auf die Regierung übrig zu bleiben scheint.

©  Annemarie Nikolaus, April 2002

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 28/12/06