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Rechnen mit Europa

Silvio Berlusconi hat Anfang des Jahres jedem italienischen Haushalt einen Euro-Rechner geschenkt. Im Begleitbrief, den das Büro des Ministerpräsidenten beigelegt hatte, sprang einen Bedauern an: Er eröffnete mit der Bemerkung, dass „unsere liebe alte Lira" bald endgültig ausgedient habe. Er trifft damit eine aktuelle Stimmung im Land.

Die ItalienerInnen erweisen sich in diesen Tagen als besonders resistent gegen die Einführung des neuen Geldes. Am dritten Januar hatten sich erst 3% von der Lira verabschiedet, am vierten Tag waren es 25% gegenüber dem EU-Durchschnitt von 40%. Italien war damit – wieder einmal – Schlusslicht in Euro-Land.

Einige Supermarkt-Ketten hatten dankend abgelehnt, sich vorab mit Euros auszurüsten, weil extrem hohe Strafen drohten, falls ihnen vorab eine Note in Umlauf geraten sollte. Die Euro-Kits waren auf nur mäßiges Interesse gestoßen. Einige Postämter auf Sizilien zahlten deshalb Anfang Januar zum Ärger der Rentner die gesamten Pensionen mit dem Kleingeld aus. Besonders die schwer unterscheidbaren Münzen sind vielen ItalienerInnen ein Dorn im Auge. Schon wird dafür geworben, die 1 Cent- und 2-Cent-Stücke abzuschaffen. Selbst Wirtschaftsminister Giulio Tremonti unterstützt den Vorschlag trotz der damit verbundenen Inflationsgefahr.

Dabei waren bis vor kurzem zumindest theoretisch – in den Umfragen – die ItalienerInnen besonders begeisterte Euro-BefürworterInnen gewesen. Die Regierenden aber Einiges dazu beigetragen, die Stimmung zu verderben. Aus der Abgeordnetenkammer kam gar der Vorschlag, der Lira ein Denkmal aus eingeschmolzenen Münzen zu setzen als Zeugnis ihrer fundamentalen Bedeutung für die nationale Identität.

An der Spitze der Euro-Skeptiker und Europa-Skeptiker steht Lega nord-Chef Umberto Bossi. Das unabhängige Padanien, das er einst gründen wollte, war wirtschaftlich nach Nordeuropa orientiert gewesen. Nicht zuletzt zwecks Koalition mit Berlusconi hat er dieses Projekt begraben. Nun ist für ihn neben „Roma – ladrona" (Rom, die Räuberstadt) das Europa der Galgenstricke - „Forcolandia" als weiterer Gegner getreten.

Nach dem Rücktritt von Außenminister Renato Ruggiero ist es in besonderer Weise die Alleanza nazionale, die der Achse Tremonti-Bossi die Stirn bietet. Von vielen war der Rücktritt als ein Erfolg Bossis gewertet worden. Aber mit der Ernennung von Gianfranco Fini als Vertreter der italienischen Regierung in der europäischen Verfassungskommission hat deren Position an Einfluß gewonnen. Die AN tritt – kurz gesagt – für ein föderales Staatensystem ein.

Jetzt fordert sie größeres Gewicht in wirtschaftlichen und sozialen Fragen im Falle eines Revirements und einer Neuordnung der Ministerämter. Fini selbst ist nach wie vor am Amt des Außenministers interessiert und arbeitet an seinem Image, um europaweit ministrabel zu werden. Gerade hat er Mussolini abgewertet: Er hält ihn nun nicht mehr für den größten italienischen Staatsmann des letzten Jahrhunderts.

Fini wird nicht müde zu betonen, dass die Regierung Berlusconi in der Kontinuität der italienischen Außenpolitik stehe. Aber damit „Europa" von den Völkern akzeptiert werde, bedürfe es einer großen politischen Debatte, die auch die tiefgreifenden politischen und kulturellen Differenzen herausstellt. Die legitimen Interessen der Nationalstaaten seien mit den Aufgaben des kollegialen Managements einer gemeinsamen Souveränität zu verbinden.

Berlusconi, als er jetzt die Rolle des Interims-Außenministers übernommen hat, hatte dabei auf seine Weise schon das italienische Halbjahr der EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälfte 2003 im Kopf. Er begreift sich ja als Europäer – mit dem Ziel, nicht nur Italien, sondern auch Europa seinen Stempel aufzudrücken.

Der Chef des Fiat-Clans, Gianni Agnelli, der auch Senator auf Lebenszeit ist, hatte den Rücktritt Ruggieros als einen schlimmen Tag für die italienische Politik bezeichnet und Italien quasi als Bananenrepublik – Land der „Kaktusfeigen" heißt es hier. Francesco Rutelli und andere Vertreter der Opposition sehen sich aber in ihrer Hoffnung enttäuscht, dass Agnelli nun einer der ihren sei.

Inzwischen wertet der Avvocato die Entscheidung Berlusconis, sich in eigener Person um die Außenpolitik kümmern, als Signal, die europäischen Verpflichtungen zu respektieren und sich verstärkt in diese Richtung zu engagieren; mit klaren wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen. Obendrein hat er damit überrascht, dass er diesem ersten Regierungshalbjahr Berlusconi ein weitgehend positives Zeugnis ausgestellt hat. Insbesondere schätzt er, dass Berlusconi, wie kein (Nachkriegs-)Regierungschef zuvor, bislang in der Lage war, die solide parlamentarische Mehrheit sinnvoll zu nutzen.

Berlusconi ist geschickt dabei, sich auf vielen Feldern zu stabilisieren. Sein jüngster Angriff auf die Staatsanwaltschaft des Landes im Allgemeinen und die Ermittler der Mani pulite im Besonderen bestand in der Würdigung seines Freundes Bettino Craxi. Erst wenn Craxi die ihm zustehende Anerkennung als Staatsmann und Modernisierer von Seiten aller erfahren würde, täte Italien einen entscheidenden Schritt zu der Aussöhnung und der moralischen und zivilen Einheit, die bis heute fehle.

Emma Bonino, Partito radicale, prophezeit mittlerweile, dass Berlusconi diesmal lange an der Macht bleiben wird. Er habe bislang keine wirklich unpopuläre Reform durchgeführt, und das politische und juristische System Italien inzwischen vereinnahmt.

(c) Januar 2002, Annemarie Nikolaus

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 19/12/06