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Mafia & Co                                            

 

 

 

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Unsichtbare Netze

Eine Versammlung von sizilianischen Priestern, parallel zur UNO-Konferenz gegen die organisierte Kriminalität in Palermo, hat diese als bloßes Ritual kritisiert. Die Schwestern von Giovanni Falcone (einer der von der Mafia ermordeten Ermittlungsrichter) schrieben einen langen offenen Brief an Staatspräsident Carlo Ciampi, in dem sie davor warnen zu glauben, die Mafia sei besiegt, nur weil in den letzten Jahren bekannte große Bosse wie Toto Riina und Bernardo Provenzano festgenommen worden seien. Nach der Rede von Pino Arlacchi vor der UNO-Konferenz pflichtete der palermitanische Staatsanwalt Roberto Scarpinato den Falcones bei: spätestens seit 1991 sei in der Mafia eine neue Intelligenz am Werk, die sich den politischen und ökonomischen Veränderungen anpasse, mit dem Ziel, eine gänzlich unsichtbare Organisation zu schaffen. Die „Auslieferung" Provenzanos sei vielleicht der Abschluss dessen. Es solle der Eindruck entstehen, der Staat habe nun den Boss der Bosse, damit sei die Mafia am Ende und alle könnten nachhause gehen - scheinbar ein Sieg, in Wahrheit die vernichtendste Niederlage: die Mitglieder der „Ehrenwerten Gesellschaft" (Mafia) sind in den Reihen der „Ehrenwerten" (onorevole ist die offizielle Anrede für Abgeordnete) angekommen und brauchen um Macht und Geld kein Blut zu vergießen. (Was nicht heißt, dass es das nicht mehr gäbe.) Immerhin dauert es im Schnitt elf Jahre, bis beschlagnahmtes Vermögen aus kriminellen Geschäften eingezogen wird - so es dann überhaupt noch zu finden ist. Es ist auch vorgekommen, dass mancher Boss weiterhin von den Mieten aus den konfiszierten Häusern lebt.

In der Lombardei ist nach monatelangen Ermittlungen eine Regionalrätin der Ccd unter Hausarrest gesetzt worden mit der Anschuldigung der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und der Beeinflussung von Auftragsvergaben während ihrer ersten Amtsperiode, als sie für die Öffentlichen Arbeiten zuständig war. Regionspräsident Roberto Formigoni kritisierte den Vorgang als inakzeptable Einschüchterung durch die Ermittlungsrichter: „Die Regionalrätin hat jetzt eine andere Aufgabe (Anm.: das Haushaltsressort), und es wäre lächerlich, sie für eine soziale Gefahr zu halten." Doch es gibt den Verdacht, dass die Regionalrätin im neuen Ressort für die finanzielle Abdeckung bestimmter Maßnahmen gesorgt haben könne.

Zu einem anderen Thema der "inneren Sicherheit" hat derweilen der Osservatore Romano, Zeitung des Vatikan, warnend seine Stimme erhoben: "Unter der Asche… ist die Glut der Subversion noch nicht völlig gelöscht." Und kritisiert zudem die "nicht nur metaphorische Rückkehr auf den Lehrstuhl" von Toni Negri und Renato Curzio. Auch der Vorsitzende der parlamentarischen Commissione Stragi,  Giovanni Pellegrino, spricht alarmiert von "terroristischen Zellen, die sich reorganisieren".

Der Anlass: in Todi war Mitte 

Dezember eine Bankfiliale ausgeraubt worden. Dummerweise ist den beiden Räubern beim Verlassen der Bank ein Carabiniere in Zivil in den Weg geraten, und so sind sie nicht weit gekommen. Einer der beiden gehörte einst zu den Brigate Rosse und war vor zwei Jahren entgegen ablehnender Stellungnahmen mehrerer Richter vom damaligen Staatspräsidenten begnadigt worden. Nach der Festnahme wurden in seinem Freundeskreis mehrere Häuser durchsucht und bei einem 54jährigen Bauunternehmer (!) ein Waffenlager und ein Ordner mit alten Brigate Rosse-Flugblättern gefunden. Auch dieser war Anfang der Achtziger Jahre Mitglied einer Organisation der extremen Linken. Natürlich wurde auch er sofort festgenommen und die Polizei untersucht nun, ob es eine Verbindung zu dem Mord an Massimo D’Antona vor eineinhalb Jahren gibt.

Pellegrino hat vor einigen Wochen sein Buch "Staatsgeheimnis" veröffentlicht, in welchem er versucht, im Lichte der bisherigen Ergebnisse der Kommission die Thesen der Mehrheit über die "bleiernen Jahre" zu widerlegen; zu der Rolle von Gladio, der Strategie der Spannung und der Rolle der USA-Geheimdienste. Fast gleichzeitig ist ein Dokument der Staatsanwaltschaft von Brescia bekannt geworden, das zwar tatsächlich die Strategie der Spannung nicht der Gladio zuzuschreiben sei, aber einem parallelen Super-Geheimdienst, gegründet nach dem Krieg von Industriellen, ehemaligen "weißen" Partisanen und Republikanern von Salò.

 

Anfang Dezember hat die Mailänder Staatsanwaltschaft für den Prozess über den Anschlag von 1969 auf die Landwirtschaftsbank eine neue Zeugenaussage von Emilio Taviani, einem der Gründer der Dc, vorgelegt. Darin ergänzt er seinen Bericht von 1997 vor der Commissione Stragi dahingehend, dass dieses erste Blutbad der Schwäche der extremen Rechten jener Zeit und Eifersüchteleien in den verschiedenen Geheimdiensten zuzuordnen sei. Ein Offizier des Sid habe dann die Spur auf die Linke gelenkt.

Pellegrino stützte sich mit Vorliebe auf das Mitrochin-Dossier. Aber in den Nationalen Archiven der USA sind Dokumente gefunden worden, die angeblich belegen, dass auch die USA Material über alle wichtigen Personen Italiens gesammelt hat. Sie soll auch von den Vorbereitungen zum Staatsstreich Borghese (1970) gewusst, aber beschlossen haben, die italienischen Institutionen nicht zu warnen.

Das Ende ist noch immer offen, aber es scheint, die Arbeit der Commissione Stragi macht - relativ - größere Fortschritte als die der Anti-Mafia-Kommission. Die Verstrickungen der Vergangenheit sind auch – relativ – unverfänglicher als die der Gegenwart.

© Annemarie Nikolaus, Dezember 2000

 

 

 

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 19/12/06