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Spaltung zwischen den Politikern und ihrem Volk

„Wir wollen auch in den Krieg ziehen dürfen", schien die Losung der italienischen Regierung in den letzten Wochen zu sein. Kein Hilferuf von den USA? Bloß die zweite Geige im Konzert der NATO-Mitglieder? Wo doch gerade die Alpenjäger eine der bestmöglichen Truppen für den Kampf in den afghanischen Bergen wären! – Wie sauer Bier bot Italien seine militärische Unterstützung für den Kampf gegen den Terrorismus an.

Aber nicht nur die italienischen Truppen waren nicht gefragt; desgleichen verzichtete man auf die Weisheit der italienischen Politiker bei den europäischen Gipfeltreffen. Von Seiten der DS schrieb man diese Blamage einem Verlust an Glaubwürdigkeit zu (Pietro Folena), weil das internationale Urteil über die Regierung Berlusconi inzwischen negativ sei (Gavino Angius). In den Reihen der Margherita gab es ähnliche Einschätzungen: In der Konsequenz aber setzte sich insbesondere Oppositionsführer Francesco Rutelli für eine breite parlamentarische Mehrheit zur Entsendung von Truppen nach Afghanistan ein, um das Ansehen Italiens aufzupolieren.

Schließlich wurden die Angebote erhört. Afghanistan ist zwar ein Staat ohne Zugang zum Meer; dennoch wird Italien neben Luftwaffe und Fallschirmjägern auch einen Teil seiner Flotte entsenden. Wenige Tage vor dem Fall von Kabul hatte das Parlament über die Entsendung der Truppen abzustimmen. Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi persönlich ermahnte am Vorabend zu nationaler Verantwortung.

Außer der nicht zum Ulivo gehörenden Rifondazione comunista Fausto Bertinottis waren von Anfang sowohl die Verdi wie die Pdci gegen den Krieg in Afghanistan und erst recht nun gegen eine italienische Beteiligung. Aber auch die DS – immer noch die größte Partei innerhalb des Ulivo – blieb gespalten, und d‘Alema musste die Abstimmung freigeben. Viel Ablehnung auch in der Margherita; nur dass unter den Parteigängern Rutellis bis auf wenige Ausnahmen die Parteiloyalität über die persönlichen Bedenken siegte.

Während „Italien" auf diese Weise seine internationale Rolle zu festigen suchte, und Berlusconi dafür auch von Teilen der Opposition unterstützt wurde, sank die Unterstützung unter der Bevölkerung unübersehbar. Bei gleichbleibender Verdammung der Attentate vom September entwickelte sich in der öffentlichen Meinung eine immer differenzierte Haltung hinsichtlich sinnvoller Gegenmaßnahmen. Noch Anfang Oktober hielten etwa 70% der WählerInnen eine direkte militärische Beteiligung Italiens für akzeptabel. Als aus der theoretischen Möglichkeit Realität zu werden drohte, sank die Zustimmung sozusagen stündlich. Vor der Abstimmung im Parlament waren in einigen Umfragen höchstens noch die Hälfte der Wählerinnen für eine direkte kriegerische Beteiligung. Dennoch haben lediglich 67 Parlamentarier aus den Reihen der Opposition gegen den Kriegseinsatz gestimmt.

Die geänderte Haltung der ItalienerInnen ist nicht nur dem drohenden direkten Kriegseinsatz geschuldet, sondern auch der Debatte der letzten Wochen. Herrschte anfangs das schlichte Entsetzen über die Attentate und das Gefühl unkalkulierbarer eigener Bedrohung, wurden später sowohl der Nutzen eines Krieges wie auch die Rolle der USA immer ausführlicher debattiert.

In einer nach der Abstimmung veröffentlichten Umfrage waren 44% aller Wählerinnen gegen eine direkte Beteiligung Italiens, und immerhin 26% der WählerInnen der centrodestra. Den größten Widerstand gibt es von Seiten der jüngeren (bis 24 Jahre), insbesondere unter den jungen Frauen. Unter den ältesten Befragten findet sich dagegen besonders ausgeprägt die Auffassung, dass das terroristische Attentat nicht so sehr zu verurteilen sei, weil auch die USA in der Vergangenheit genauso schwerwiegende Aktionen durchgeführt hätten. Insgesamt denken 4% der ItalienerInnen so. Ein Viertel – unter den Linken 38% - verurteilen die Attentate zwar entschieden, halten aber inzwischen die Gründe, die nach Meinung Bin Ladens die Ursache sind, in mehr oder weniger großem Umfang für nachvollziehbar, wenn nicht gar verständlich.

Am Tag nach der Abstimmung publizierte die CGIL, eine der größten Gewerkschaften, ihre eindeutige Ablehnung und erklärte, dass die Entsendung von italienischen Truppen völlig konträr zu der Notwendigkeit stünde, die Bombardierungen zu beenden, und überdies zum Risiko beitrüge, den Konflikt auszuweiten.

Auf Anregung einer Zeitung hat nach der Abstimmung Berlusconi einen Solidaritätstag für die USA organisieren lassen. Rom wurde dazu in eine Festung verwandelt, inklusive Überflugverbot. Vielleicht 50.000 folgten seinem Aufruf. Gleichzeitig aber haben die social forum, die hiesigen Protagonisten der no-global-Bewegung, eine erfolgreiche und friedliche Gegendemonstration zuwege gebracht. Neben den Verdi haben nur Fausto Bertinotti von der Prc und Cesare Salvi von der DS an der Friedensdemonstration teilgenommen.

Massimo d‘Alema dagegen widmete den Pazifisten in der Unità einen scharfen Kommentar, in dem er den Pazifismus für impotent erklärte und bekräftige, dass eine militärische Reaktion auf den Terrorismus nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig sei.

In den jüngsten Umfragen sagen aber 54% der ItalienerInnen, dass der Krieg kein opportunes Mittel sei, den Terrorismus zu bekämpfen; und gar 71% erklären, der Krieg sei deshalb nicht opportun, weil kein Krieg dies sei.

Selten war die Kluft zwischen der Bevölkerung und ihren PolitikerInnen größer. Und wie schon oft hat sich die linke Opposition entgegen dem Willen ihrer WählerInnen der „Staatsräson" unterworfen.

© Annemarie Nikolaus, November 2001

 

 

Copyright © 2001 Annemarie Nikolaus
Stand: 19/12/06